Die Legende von der Horst
Beim “Schwarzen Berg”, dort wo jetzt die Stadt Stade liegt, lebte in alten Zeiten ein Riese mit Frau und Kindern. Die Jungen der Riesenfamilie mussten mit dem Vater auf die Jagd in den Wald, die Mädchen blieben bei der Mutter und halfen im Winter beim Spinnen. Nur das jüngste Mädchen von acht Jahren spielte noch mit ihrer Puppe und vertrieb sich die Zeit. Wenn Schnee lag, dann baute sie sich auf dem Hof einen Schneemann, so hoch wie ein Kirchturm, denn es war ja ein Riesenkind.
Einmal im Frühling, als der Schnee zu tauen begann und die Stare schon wieder in den Bäumen saßen und lärmten, konnte es das Mädchen im Haus nicht mehr aushalten. Es wollte hinaus in die Natur. “Du Mutter,“ fragte sie, „darf ich mal ein wenig übers Feld und Blumen pflücken?” “Meinst du denn, du findet Blumen, jetzt wo der Winter sich man gerade verabschiedet hat?” fragte die Mutter zweifelnd. “Aber ja, Mutter”, rief das Mädchen, “Märzenbecher blühen auch unter dem Schnee, die sind schon da.” “Meinetwegen”, sagte daraufhin die Mutter, “Denn man zu.”
Die Mutter band ihrer Tochter noch eine frische Schürze um, wischte ihr die Nase und mahnte: “Das du dich aber nicht so schmutzig machst. Dann gibt’s was!” “Nein, Nein, Mutter”, sagte die Tochter und lief nach draußen. Viele Blumen gab es allerdings noch nicht. Nur hier und da eine einzelne Blüte, das war alles. Über den Tag entfernte sich das Riesenmädchen immer weiter vom Zuhause fort, bis es vor einem breiten Fluss stand.
Das war die Oste, die durch unser Stader Land floss und dort bei Hechthausen in die Marsch übergeht. Für das Riesenmädchen allerdings war es nichts weiter als ein gewöhnlicher Graben. Als sie am anderen Ufer einen weißen Sandberg sah, hielt es das Mädchen nicht länger am Ufer. Da musste sie rüber.
Was für ein schöner weißer Sand. Davon konnte sie einen ordentlichen Sandkuchen backen! Voller Freude klopfte sie in den Sand, das es bis in die Westerberge zu hören war. Dann aber ging sie in die Hocke und packte sich Sand hinein, soviel sie konnte. Mittlerweile wunderte sich die Mutter, wo die Tochter blieb. Und in dem Moment, wo die Tochter mit ihrer Schürze voll Sand wieder hoch kam, stand die Mutter schon am anderen Osteufer und schimpfte: “Ungezogenes Mädchen, was machst du auf der anderen Seite der Oste?”
Da erschrack das Mädchen, nahm die beiden Schürzenzipfel in die Hand und sprang wieder über den Fluss. Das klappte auch, doch was war das? Ein Riss klaffte in der Schürze und der ganze Sand fiel in die Ostemarsch! Das Riesenmädchen begann zu weinen, doch was nützte das? Die Schürze war kaputt und der Sand am Boden. Die Schürze voll Sand liegt heute immer noch an der rechten Seite der Oste und heißt: “die Horst”. Als später unsere Vorfahren ins Land kamen, bauten sie sogar Häuser und eine Kirche “uppe Horst.”
Nach einer plattdeutschen Geschichte von J. Rathje, nacherzählt von D. Alsdorf